Das Jahr 2018 war in vielerlei Hinsicht interessant, erschreckend und stellenweise gruselig. Am 14. Februar kam es zum Schulmassaker von Parkland, das 16 Opfer forderte. Viele der Überlebenden wurden anschließend zur Zielscheibe von rechten Verschwörungstheoretikern. Es folgten die Amokfahrt in Münster, der Anschlag von Carcassonne und Trèbes und Schüsse auf einem Weihnachtsmarkt in Straßburg. Dazu sitzt Donald Trump immer noch im Weißen Haus und heizt das politische Klima in den USA und der ganzen Welt auf.
Und wie es um das Erstarken rechter, neo-nationalistischer und menschenfeindlicher Tendenzen steht, das haben die Ereignisse in Chemnitz und Cottbus, die Ermittlungen gegen mutmaßlich rechtsradikale Polizeibeamte, die sich weiterhin haltende AFD und ähnliche Bewegungen im Rest Europas gezeigt.
Auch um unseren Planeten steht es nicht so toll. Die CO2-Emissionen nehmen zu statt ab. Der Klimarat glaubt nicht mehr daran, dass wir die 1,5-Grad-Grenze halten können, riesige Waldbrände verwüsteten Kalifornien und der Golf von Mexiko wird, wie Recherchen nun zeigten, seit 14 Jahren mit 100ten Millionen Litern Öl verpestet – ohne, dass es jemanden interessierte. Und dann war da noch Youtube Rewind 2018 – eine ganz eigene Art von Naturkatastrophe.
Dennoch: Nicht alles ist schlecht. Wirklich nicht. Die Kindersterblichkeit nimmt ab. Die Zahl der Malaria- und Tuberkuloseerkrankten sinkt. Die Kofan in Ecuador haben einen Schutz des Fluss Aguarico erfechtet – und damit Bergbau-, Abholzungs- und Rodungsspläne von Regenwaldgebieten verhindert. Mit dem Elfenbeinverbot in China ist die Wilderei in afrikanischen Ländern wie Kenja gesunken. Die Zahl wilder Tieger in Nepal steigt. Spanien will ein Wildschutzgebiet im Mittelmeer ausrufen, um Wale und Define zu schützen, Chile hat 42 Prozent seiner Küste unter Schutz gestellt und Kolumbien den Nationalpark Serranía de Chiribiquete ausgedehnt – und zum größten Tropennationalpark der Welt gemacht. Oh, und das Belize Barrier Reef gilt nicht mehr als gefährdet.
Dazu werden Industrien wie die Videospielbranche allmählich weiblicher – und trauen sich langsam (aber immerhin), sich Problemen wie Sexismus und fehlender Diversität zu stellen. In Indien ist Geschlechtsverkehr unter Homosexuellen nicht länger strafbar, Nord- und Südkorea nähern sich einander an und die Menschheit hat es erneut geschafft, einen Lander auf den Mars zu bringen und eine Sonde zum Rande unsere Sonnensystems zu steuern. Verschiedene Autobauer und Reedereien wie Mærsk haben angekündigt, in absehbaren Zeitspannen, Verbrennungsmotoren aufzugeben. Und Deutschland fördert keine Steinkohle mehr.
Ich will damit sagen, dass, auch wenn verdammt vieles mies läuft, wir nicht nicht missmutig werden und nur mit Furcht auf die kommenden Jahre schauen dürfen. Wir sollten realistisch und klar bleiben, natürlich. Aber nicht ängstlich oder verschreckt – oder uns gar in der Annahme suhlen, dass eh alles verloren und egal ist. Selbst wenn uns das manchmal schwer fällt: Vor 35 Jahren hatte die Tageszeitung The Star den legendären Science-Fiction-Autor Isaac Asimov gebeten, für sie in die Zukunft zu schauen. Das tat er. Oder versuchte es zumindest. Denn im Jahre 1983, in der er seinen Artikel schrieb, war nicht sicher, ob die Menschheit bis dahin noch so existieren würde. Es herrschte der Kalte Krieg und die stete Bedrohung eines nuklearen Schlagabtausches. Trotzdem entschied sich Asimov zu einer positiven Annahme.
Let us, therefore, assume there will be no nuclear war — not necessarily a safe assumption — and carry on from there.
Es war eine kühne und mutige Prophezeiung. Aber eine die nichtsdestoweniger richtig war – wie Asimov, er starb am 6. April 1992, vielleicht selbst überrascht haben mag. Eine optimistische Perspektive auf die Zukunft und die Realität schließen sich also nicht aus. Das zeigt sich auch in weiteren Punkten, die der Science-Fiction-Autor angriff. Er sah die Unabdingbarkeit der Digitalisierung und Robotik in der zunehmend komplexer werdenden Industrie und Gesellschaft, den folglichen Wegfall von – vor allem von Routine – geprägten Anstellungen und die Neuschaffung neuer Tätigkeitsfelder und Jobs.
However, the jobs created are not identical with the jobs that have been destroyed, and in similar cases in the past the change has never been so radical (...) The jobs that will disappear will tend to be just those routine clerical and assembly-line jobs that are simple enough, repetitive enough, and stultifying enough to destroy the finely balanced minds of those human beings unfortunate enough to have been forced to spend years doing them in order to earn a living, and yet complicated enough to rest above the capacity of any machine that is neither a computer nor computerized.
Auch forderte Asimov daher einen Umschwung im Bildungswesen; eine Digitalstrategie für die Schule und Ausbildung und etwas, was wir heute Medienkompetenz nennen.
This means that a vast change in the nature of education must take place, and entire populations must be made “computer-literate” and must be taught to deal with a “high-tech” world. Again, this sort of thing has happened before. An industrialized workforce must, of necessity, be more educated than an agricultural one. Field hands can get along without knowing how to read and write. Factory employees cannot.
Wobei Asimov glaubte, dass dieser Prozess dann 2019 schon geschafft wäre – und wir in einer digital geschulten Gesellschaft leben würden. Tja, daneben. Auch eine Art kooperative Weltregierung, die Umweltschutz und Weiterentwicklung der Menschheit beaufsichtigt, wie sie Asimov kurz anreißt, gibt es leider nicht.
An anderer Stelle hat Asimov aber auch wieder Recht behalten – zumindest in gewisser Hinsicht.
We will enter space to stay. (…) By 2019, the first space settlement should be on the drawing boards; and may perhaps be under actual construction.
Der Science-Fiction-Autor orakelte eine Raumstation daher. Und die haben wir. Er glaubte, dass mehrere Nationen zusammenarbeiten. Und das tun wir. Er schrieb, dass wir ins All kamen, um dort zu bleiben, um den Mond zu kolonisieren und zur Ressourcengewinnung zu nutzen. Und auch das versuchen wir – allem voran derzeit mit Bemühungen wie denen von Elon Musk mit SpaceX, Jeff Bezos' Blue Origin und verschiedenen Initiativen der NASA, ESA und Chinas CNSA.
Wir sind noch nicht ganz soweit, wie Isaac Asimov dachte, aber echt nah dran. Wir haben viel erreicht, viel vor und sind in zahlreichen Feldern auf dem richtigen Weg. Vielleicht sollten wir es wieder öfter wagen, positiv und ohne einen dunklen Schatten über unserem Haupt in die Zukunft zu schauen: 10, 20, 30 oder auch hunderte Jahre. Nicht nur als Prophezeiung, sondern als eine Art Wegweiser und To-do-List in eine gute Zukunft. Denn schließlich sollte es uns nicht nur darum gehen, welche schrecklichen Katastrophen verhindern müssen, sondern auch, was wir an positiven Errungenschaften und Erfolgen erreichen wollen.
Oder, … um es ganz kurz zu sagen: Happy 2019! Macht was draus!
Lesetipps
In Biokrieg war es zu spät für Klimaingenieure. Zahlreiche Metropolen sind untergegangen und Nationalstaaten zerfallen, sodass nun riesige Konzerne um die Vorherrschaft kämpfen. Und das mit billigen aber genmanipulierten Nahrungsmitteln, die immer wieder für Seuchen sorgen, Privatarmeen und Robotersklaven. Zu Letzteren gehört auch Emiko, ein einstiges Sexspielzeug, das sich befreien konnte und, wie auch andere New People getaufte Kunstwesen, ein eigenes Leben aufbauen will. Dabei läuft ihr der Firmenhandlanger Anderson Lake über den Weg. Bitte: Lasst euch nicht vom furchtbaren deutschen Titel abschrecken. Der Roman von Paolo Bacigalupi gehört mit zum Besten, was ich die letzten Monate gelesen habe.
The People's Republic of Everything ist eine Sammlung der Kurzgeschichten von Nick Mamatas, den ich – zugegeben – bislang eher als Horror-Autor auf dem Radar hatte. Und seine Stories sind auch ziemlich Black-Mirror-esque und nicht durchgehend pure Science-Fiction. In einer Geschichte wird etwa der Cthulhu-Autor HP Lovecraft als Künstliche Intelligenz zum Leben erweckt. Eine weitere erzählt das glaubhafte Martyrium einer Frau, die auf Twitter und Facebook gemobbt wird. Und dann wieder baut ein 9/11-traumatisierter Amerikaner eine Atombombe, um sich von den USA loszusagen und seine eigene Nation zu gründen. Toller Lesestoff und ein gelungener Mix.
Ich bin noch nicht ganz mit Arwen Elys Daytons Stronger, Faster, and More Beautiful durch aber schon sehr angetan. Das Science-Fiction-Werk erzählt sechs separate aber lose verlinkte Geschichten über die Manipulation des menschlichen Körpers. Die Körper zweier sterbender Zwillinge werden miteinander verknüpft, um die aussetzenden Organe des jeweils anderen zu kompensieren. Ein Teenager erleidet einen Autounfall und ist nur noch durch Technik zu retten. Aber ebenso taugt derartige Technologie, um Menschen zu roboterhaften Sklaven zu degradieren. Das alles ist großartig geschrieben, unterhaltsam und gibt auch den ein oder anderen spannenden Denkanstoß mit.
Gut, worum geht's in Roger Levys The Rig? Um echt vieles. Der Roman spielt in einer Zeit, da die Erde schon längst dahin ist und sich das Terraforming anderer Planeten als schwieriger erwiesen hat als alle dachten. Das Leben ist hart und die Erlösung sehen viele im Afterlife: Eine Social-Media- und Online-Rollenspiel-Plattform, die den religiösen Glauben ersetzt. Dazu sind Korruption, Krankheit und Mord weitverbreitet. Diese bizarre Welt wird über zahlreiche Charaktere hinweg entfaltet, deren Lebenswege sowohl parallel als auch entgegensetzt verlaufen. Das ist komplex, verworren, stellenweise etwas zu viel aber dank Roger Levys wunderschöner Sprache auch sehr einfangend.
News und Artikel
Was Wissenschaftler fürchten und hoffen
Becky Ferreira von Motherboard hatte bereits vor einigen Tagen gemeinsam mit zahlreichen Forschern in die Zukunft geblickt. In einer zweiteiligen Reihe fragte sie nämlich Wissenschaftler, was sie vor der Zukunft erschauern lässt. Aber auch, was ihnen Zuversicht und Optimismus gibt. Die Antworten sind so vielfältig, bunt und stellenweise far out wie die Befragten. Natürlich kommt die KI-Apokalpyse vor, der Aufstieg neuer autoritärer Regierungssysteme und Politiker und die Auflösung des Wahrheitsbegriffes aber eben auch die Aufgewecktheit und der Aktivismus neuer Generationen, die Art wie Technologie Menschen über Grenzen hinweg vernetzt und wie sich immer Menschen für Wissenschaft und Forschung begeistern lassen.
Solarenergie aus dem All
Die Zukunft der Solarenergie liegt im All! Das haben Science-Fiction-Autoren aber auch Raumfahrtbehörden wie die NASA bereits vor Jahrzehnten propagiert. Viel passiert ist dahingehend – abgesehen von Raumstationen und Satelliten mit Solarpaneelen – recht wenig. Dabei ließen sich mit der Sonnenstrahlung doch ganze Nationen und Erdteile mit Energie versorgen. SingularityHub hat alte und neue Ideen und Konzepte dazu mal aufgeschlüsselt und erklärt, warum diese noch Zukunft haben könnten.
83 Dinge
The Atlantic hat ein schönes Listical, das ich so auch gerne geschrieben hätte. Denn das Magazin hat einfach mal 83 Fakten und Erkenntnisse aus dem Jahr 2018 gesammelt, die überraschend, irre oder einfach verblüffend sind. Darunter sind Flusspferdkacke, Nudisten auf Twitter und Christen, die Bioimplantate für ein Zeichen der kommenden Apokalypse halten.
Worte zum Schluss
Ich finde es immer noch unglaublich, dass dieser Newsletter so vielfach abonniert wurde – und auch soviel positives Feedback kam. Danke dafür! Ihr seid unglaublich.
Ansonsten wünsche ich euch allen natürlich ein tolles Jahr 2019, viel Erfolg, Freude, Freunde, Geld, Gesundheit und Lust auf die Zukunft.
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