Azimut Futur #19#0004: FFF
Seit Wochen gehen junge Menschen (zu denen ich leider wohl nicht mehr zähle) auf die Straße. Sie boykottieren jeden Freitag die Schule, um zu demonstrieren. Sie fordern Politik und Gesellschaft auf, endlich die unumstößliche Wahrheit wahrzunehmen, dass wir auf ein entsetzliches Schicksal zurasen: Die Vernichtung unseres Planeten und seiner Bewohner durch die menschliche Arroganz und Ignoranz. Denn nichts weiter ist es, was sich in den Forderungen der Fridays-For-Future-Anhänger kristallisiert.
Sie wollen, dass endlich Schluss ist, mit dem Abbau und der ungebremsten Förderung fossiler Brennstoffe; sie wollen, dass erneuerbare und nachhaltige Energien endlich in den Fokus rücken; sie wollen, dass Geld in den Öffentlichen Personennahverkehr fließt und nicht in den Individualverkehr, der für verstopfte Straßen und Städte sorgt; sie wollen, dass sie aber auch die nachfolgenden Generationen noch eine lebenswerte Zukunft haben. Und jeder, der nicht vollends matt im Hirn ist, erkennt, dass diese Wünsche einer simplen Vernunft und Klarheit entspringen.
Eben daher schmerzte es so, zu sehen, wie manche politischen Entscheider und manche Medien auf die Fridays For Future reagieren. Sie sprechen den jungen Menschen Einblick, Erfahrung und Weitsicht ab – dabei geben sie doch lediglich wieder, wovon Wissenschaftler und Klimaforscher seit Jahren und Jahrzehnten sprechen. Politiker bezeichneten die jungen Menschen als Schulschwänzer und naive Marionetten einer Marketingmaschinerie. Medien fokussierten sich auf einzelne herausragende Personen der Bewegung – aber nicht dem, was diese dann sagen.
Die alten Damen und Herren können oder wollen nicht verstehen, warum eine ganze Generation – sei es nun im Alter oder Geiste –, darum kämpft, endlich als Menschen mit Ängsten und Erkenntnissen wahrgenommen zu werden; dass es an politische Notwehr grenzt, auf die Straße statt in die Schulen zu gehen. Und dass diese Menschen auch bereit sind, Opfer zu bringen, um sich und anderen eine Zukunft zu geben. Selbst wenn das schmerzt, weh tut und unseren allzu komfortablen Lebensstil beschneiden würde.
Denn die ersten konkreten Forderungen, die die nun FFF gestellt haben, würden Einschränkungen und Veränderungen bedeuten. Fleisch, Autofahren und der Coffee to go würden teuer, viele Parkplätze würden zu Radwegen, statt weiterer Straßen würden Schienen gebaut. Viele könnten nicht mehr zwei, sondern nur noch einmal im Jahr in den Auslandsurlaub – und das vielleicht nicht mehr mit dem Flugzeug, sondern der Bahn. Wahrscheinlich könnte man sich nicht mehr jedes Jahr das neue iPhone oder Samsung Galaxy Irgendwas leisten, sondern nur jedes zweite Jahr. Und, ja, mit Sicherheit würde auch manch Arbeitsplatz bei einem Autobauer wegfallen, der viel zu lange an Benzin und Diesel festgehalten hat.
Dabei ist klar, dass sich die Forderungen der Bewegung nicht so einfach in die Realität übersetzen lassen. Denn sie sind in ihrer Formulierung zwar einfach aber in ihrer Natur durchaus komplex und abstrakt. Sie müssen erst verstanden, in Einzelaspekte aufgeteilt und dann in Konzepte, Gesetze und Regelungen gegossen werden. Das ist unbestreitbar. Die Sache ist: Wenn uns unser Planet und Klima uns in den letzten Jahrzehnten eines klar gemacht haben sollte, dann, dass das jetzt passieren muss – oder, okay, eigentlich schon längst hätte passieren sollen.
Die Fridays For Future sind keine polternde PR-Bewegung, keine Zusammenrottung aufmüpfiger Kinder und Jugendlicher. Sind sind ein Zeichen der Vernunft und ein Beweis dafür, dass endlich erste Menschen verstehen, dass wir ob des Zustands unseres Planeten und unseres Tuns eine Verantwortung übernehmen müssen. Sie sind das dicke Ausrufezeichen hinter einem großen roten PANIK-Knopf.
Lesetipps
Für mich ist Charlie Jane Anders' Alle Vögel unter dem Himmel eines der besten (Fantasy-)Science-Fiction-Werke der letzten Jahre. Vor allem weil es so ungewöhnlich, herzig, verspielt und auf seine Weise optimistisch ist. Jetzt hat die Ex-io9-Redakteurin mit The City In the Middle of the Night ihren zweiten Roman abgeliefert, der – wie ich sagen kann, ohne ihn schon ganz gelesen zu haben – nicht ganz so grandios ausfällt aber dennoch viel zu bieten hat. Dabei ist er in vielerlei Hinsicht gänzlich anders als ihr Debüt. Angesetzt ist die Geschichte auf dem Planeten January, dessen eine Seite konstant im Sonnenlicht, die andere stets in der Dunkelheit verweilt. Das Leben findet in Stadtstaaten statt, die jeweils eigene sehr harsche Gesetze und Regeln kennen. In dieser Welt versucht die junge Sophie ihr Leben auf die Reihe zu bringen und glaubt, in Bianca erstmals Liebe gefunden zu haben. Doch die hat eine so einnehmende wie auch toxische Persönlichkeit, was ihr nur Probleme und eine Begegnung mit einem Alien einbringt. Der Einstieg in die Geschichte ist nicht ganz einfach. Aber letztlich nimmt sie Fahrt auf und erforscht Themen wie Umweltzerstörung, Beharrlichkeit und Unterdrückungsmechanismen.
Was wäre, wenn... sich Kalifornien vom Rest der USA lossagt. Der Gedanke ist nicht neu und in Ben H. Winters' Golden State bereits seit Jahren Realität. Allerdings herrscht in der daraus entstandenen Nation, eben The Golden State, nicht nur die Silicon-Valley-Technologie, sondern auch das erbarmungslose Primat der Wahrheit. Lügen ist verboten und als krimineller Akt mit harschen Gefängnisstrafen bis hin zur Abschiebung bedacht. Durchgesetzt wird diese Regel von Agenten wie Lazlo Ratesic und seiner neuen Partnerin, die dafür auf einen nahezu allmächtigen und allgegenwärtigen Überwachungs- und Archivierungsapparat zurückgreifen. Doch als es zu einem ungewöhnlichen Unfall kommt, kommt die Frage auf, ob eine Wahrheit die Wahrheit sein kann, wenn sie eigentlich auf einem Lügengebäude basiert. Golden State ist eine faszinierende und bedrückende Vision, die an Dystopien wie 1984 und Wir denken lässt, aber deutlich rasanter geschrieben ist.
Es ist zu wenig Platz für all die Menschen in Peking. Und es gibt keine Möglichkeit, noch mehr unterzubringen. Aus Not setzt die chinesische Regierung daher einen absurden Plan um. Die Stadt wird in Zonen aufgeteilt und auf schwenkbare Plattformen verlegt, die wie Gondeln auf einem Riesenrad rotieren – um allen gleichermaßen Wohnraum und Sonnenlicht zukommen zu lassen. Dafür werden Gebäude zusammengefaltet und riesige Maschinen betrieben, die die Platten in den Untergrund und wieder hinauf heben. Die Einwohner werden straff und nach gesellschaftlicher Schicht getrennt und dürfen ihre Plattform nicht verlassen. Darunter ist Lao Dao, ein Müllmann, der von einem reichen Studenten angeheuert wird, um einen Liebesbrief zuzustellen. Das führt ihn aus seiner Zone hinaus und durch die obskuren Faltmechanismen der Megastadt. Peking falten von Jingfang Hao ist eine einfallsreiche Novelle, die mit ihren nur 84 Seiten so einfangend wie flink gelesen ist.
Für die Erde steht es mal wieder nicht zum Besten. Eine Seuche treibt die Menschheit ins All. Unter anderem in Richtung des erdähnlichen Planeten Pax, der um die Sonne HIP30815f schwirrt. Als die Siedler dort ankommen, müssen sie allerdings feststellen, dass sie nicht ganz alleine sind. Denn der Planet ist von Pflanzen überwuchert, die erstaunlich intelligent auf die Neuankömmlinge reagieren und diesen das Leben zunächst nicht gerade einfach machen. Dazu stoßen die Erdlinge alsbald auf die Ruinen einer vergangenen Zivilisation, die sich unter all der dichten Flora verbergen. Semiosis von Sue Burke erzählt den Überlebenskampf der Siedler über mehrere Generationen hinweg und changiert dabei mal mehr, mal weniger elegant zwischen ernsthafter Sozialstudie und gefälligem Weltraumabenteuer. Das macht durchaus Spaß und entführt in eine faszinierend exotische Welt. Mit Interference soll im Oktober der zweite Teil der Roman-Duologie erscheinen.
Schautipps
Nicht alle der 18 meist animierten Kurzfilme, die Deadpool-Regisseur Tim Miller und David Fincher für ihre Anthologie Love, Death & Robots zusammengetragen haben, sind pure Science Fiction. Aber es sind genug, um eine Erwähnung an dieser Stelle zu rechtfertigen. Auch sind nicht alle der Shortfilms sonderlich clever oder intelligent. Aber die, die es sind, wiegen den Rest mehr als auf. Alleine schon Zima Blue, die kantige Trickfilm-Animationsumsetzung der gleichnamigen Kurzgeschichte von Alastair Reynolds, ist so bewegend wie spektakulär anzusehen: In ihr eröffnet ein gefeierter Künstler, der galaktische Werke erschuf, einer Journalistin seine Lebensgeschichte. In Drei Roboter versuchen sich hingegen drei Roboter einen Reim auf die Überreste der Menschheit zu machen, die es erfolgreich geschafft hat, sich selbst auszulöschen. Und in einem weiteren Animationsstück übernimmt ein intelligenter Joghurt die Herrschaft über die Erde.
Love, Death & Robots ist auf Netflix verfügbar.
Es soll die Lösung für eines der menschlichsten Probleme sein: Osmosis, eine neue Dating-App, soll den Menschen finden, der wirklich für einen bestimmt ist. Dafür wird das Gehirn mit Nano-Robotern geschwemmt, die den Hormonspiegel und privateste Informationen erforschen. Hinter der umstrittenen Entwicklung steht Bruder-Schwester-Paar Esther und Paul, die Osmosis gerade auf erste Beta-Tester loslassen. Datenschutz, das Heilsversprechen der Tech-Branche, Ethik und Moral werden in Osmosis aufgearbeitet. Dabei ist die Serie in einem nur dezent futuristischen Paris angesetzt, was fast schon erfrischend pur wirkt. Dazu geht es nicht nur um blanke Technikpanik, sondern die Dialektik, die der Technologie innewohnt. Etwas aufgesetzt wirken leider die persönlichen Dramen des Geschwisterpaars, die zumindest bei mir nicht verfangen wollten.
Osmosis ist auf Netflix verfügbar.
Es ist nicht einfach, ihr zu entkommen. Aber die junge Schachspielerin versucht ihr dennoch zu entwischen: einer allseits präsenten KI, die sie in Gestalt eines Rollkragen-tragenden Mannes durch New York City zu verfolgen scheint und zum Bleiben bewegen will. Auf ihrer heimlichen Flucht trifft die junge Frau in Tom Logan Grubers Kurzfilm Jumbo John auf so skurrile wie verstörende Charaktere, die wohl nicht zufällig an die absurde Welt von Twin Peaks denken lassen.
Jumbo John ist hier verfügbar.
Hörtipps
Häuser aus Holz
Wirklich futuristisch klingt Holz nicht gerade. Aber das ist es: Holz wächst nach, lässt sich einfach formen, ist flexibel und dazu noch ein CO2-Speicher. Nachhaltiger geht es kaum. Langsam zeigt sich nun, das Holz nicht nur für die Wochenendhütte taugt, sondern auch in großen Dimensionen verbaut werden kann – und damit den Wohnraum der Zukunft definieren könnte. Darüber berichtet SWR2 Wissen.
Wenn ein Baum heranwächst, bindet er dabei Kohlendioxid. Und wer das Holz zum Bauen verwendet, sorgt dafür, dass das Treibhausgas so lange nicht in die Atmosphäre gelangt, wie das Gebäude steht. Bauen mit Holz ist also ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. 1.500 Tonnen Kohlendioxid sind in dem Heilbronner Hochhaus gebunden. So viel, wie alle Autos in Baden-Württemberg zusammen freisetzen, wenn jedes davon zwei Kilometer fährt. Das klingt nicht nach viel, aber das Haus in Heilbronn ist ja nicht das einzige Gebäude aus Holz.
News und Artikel
Ripley und der Holzplanet
Wer mich etwas kennt, der weiß, dass ich ein großer Fan der Alien-Saga bin. Der 1979 im Kino angelaufene Science-Fiction-Horror-Streifen von Ridley Scott ist für mich einer der besten Filme aller Zeiten. Und den Nachfolger von James Cameron, Aliens, verehre ich fast genauso. Aber mit Teil 3 begann für die so epochal gestartete Serie ein Abstieg. Der Film von David Fincher wurde von der Kritik und den Fans zerrissen. Das hatte Gründe: Denn die Produktion von Alien 3 war schwierig, turbulent, und ursprünglich hätte ein gänzlich anderer Film in die Kinos kommen sollen. Nämlich eine albtraumhafte Mär um Ripley, einen Planeten aus Holz und Glas und einen technikfeindlichen Mönchsorden. Diese Geschichte hab ich mal in ziemlicher Überlänge aufgeschrieben.
Wenn die KI zu oft falsch liegt
Vor allem in China wird bei der Verbrechersuche gerne auf Gesichtserkennungssysteme, Protokolle zur Verhaltensanalyse und Vorhersage gesetzt. Zunehmend ziehen da nun westliche Nationalstaaten nach – auch was die Sorglosigkeit und Vertrauensseligkeit angeht. Das ist fatal. Denn dabei geraten unweigerlich zahlreiche vollkommen Unschuldige ins Visier. In welchem Maße und zu was das führt, das hat die SZ in einem kurzen aber prägnanten Artikel aufgeschlüsselt.
Licht in Zeitlupe
Sonderlich spektakulär sieht es nicht gerade aus. Aber faszinierend ist es trotzdem. Vor allem der Fakt, dass solche Aufnahmen machbar sind: Forscher des California Institute of Technology haben für den Youtube-Kanal The Slow Mo Guys einen Laserstrahl gefilmt – in Zeitlupe mit 10 Billionen Bildern pro Sekunde. Dabei werden 2000 Pikosekunden auf rund 8 Sekunden gedehnt. Wie die Kamera ausschaut und funktioniert, die das kann, das erfahrt ihr hier.
Wird The Wandering Earth missverstanden?
Am 6. Mai soll The Wandering Earth international auf Netflix starten. Der Film ist die bisher größte und teuerste chinesische Science-Fiction-Produktion. Die Geschichte um den Versuch, die Erde in ein neues Sonnensystem zu ziehen, basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Liu Cixin, dem Autor der Trisolaris-Trilogie. Kritiker haben den Film schon gesehen und aber scheinen, wie Motherboard festhält, die reichhaltigen Narrative und Metaphern, die das Werk bietet, zu ignorieren – und lesen es als eine bedrohliche Techno-Dytopie. Dabei verstecke sich darin eine faszinierende Kapitalismuskritik und ein Appell an alle Nationen, unsere Erde gemeinsam vor dem Klimakollaps zu retten. Ich bin mal gespannt.
Das erste Foto von einem schwarzen Loch
Es ist ein historisches Bild. Astronomen haben durch den Zusammenschluss von acht weltweit stehenden Radioteleskopen erstmals den Schatten eines schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie Messier 87 abgelichtet. Das ist so bemerkenswert, da schwarze Löcher eine derartige Gravitation ausüben, dass selbst Licht, wenn es erstmal den sogenannten Ereignishorizont passiert hat, sich nicht seinem Sog entziehen kann. Dazu ließen sich schwarze Löcher ausschließlich in unvorstellbaren Entfernungen ausmachen. Bisher konnten sie daher nur auf Basis von theoretischen Annahmen simuliert und optisch illustriert werden. Wobei die Ergebnisse der Realität mal mehr, mal weniger nahe kamen.
Das schwarze Loch von Messier 87 ist rund 55 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt, größer als unser Sonnensystem und „so schwer“ wie 6,6 Milliarden Exemplare unserer Sonne. Um das schwarze Loch herum, in der Akkretionsscheibe, tobt totales Chaos. Dort rasen Massen, im Sog der Gravitationskraft, wie in einem riesigen Wasserstrudel herum, heizen sich auf Temperaturen von Millionen Grad auf und geben Strahlung ab.
Worte zum Schluss
Meinen ersten Newsletter hatte ich damit begonnen, dass ich mich von WIRED Germany verabschiedet habe. Vier Jahre lang hatte ich dort als Freelancer und zuletzt als festangestellter Redakteur gearbeitet – bevor plötzlich verkündet wurde, dass es nun vorbei sei. Aber nun wird es bald an anderer Stelle weitergehen. Denn Wolfgang Kerler, der Ex-WIRED-Chefredakteur, Krischan Lehman, der einstige Digital-Chef von CondeNast, ich und einige weitere tolle Leute arbeiten an derzeit an 1E9. Das wird ein neues Tech-Magazin, das aber mehr werden soll als nur ein spiritueller WIRED-Germany-Nachfolger.
Es soll auch eine Community werden und eine Serie von Konferenzen und Events. Dort sollen die Zukunft, neue Technologien und Innovationen nicht nur debattiert, sondern auch gestaltet werden. Ganz klar, wir laden uns damit eine Menge auf und setzen die Latte hoch an. Aber wir glauben, dass wir damit eine fantastische Plattform schaffen können. Noch wird an allen möglichen Ecken und Enden gefeilt. Wenn ihr euch dafür interessiert, was da kommt, dann schaut doch einmal hier vorbei oder sprecht mit unserem Facebook- oder Telegram-Bot. Und wenn ihr auf unserer ersten Konferenz am 11. Juli dabei sein wollt, könnt ihr euch hier ein Ticket klicken.