Azimut Futur #19#0006: 1E9
Vor ziemlich genau einem Jahr hatte ich die erste Ausgabe von Azimut Futur geschrieben. Zu diesem Zeitpunkt hatte Condé Nast Deutschland das öffentlich gemacht, was meine Kollegen und ich schon etwas früher erfahren hatten: Wired Germany, für das ich fast vier Jahre als freier Autor und dann als festangestellter Redakteur gearbeitet hatte, wird eingestellt. Nicht weil es nicht gelesen würde, nicht weil es nicht finanzierbar wäre, sondern, nun, weil es eben keinen Platz mehr hat. Es war eine bedrückende Zeit. Denn gerade erst hatte unser kleines Team einen tollen Plan ausgearbeitet, wie wir das Jahr 2019 mit coolen Themen, spannenden Partnern und vielen weiteren Ideen angehen wollten.
Mittlerweile hat sich aber einiges getan und gedreht – zum Besseren. Wir wollten nämlich nicht einfach aufgeben, was wir begonnen hatten. Schließlich waren wir überzeugt (und sind es heute mehr denn je), dass Deutschland ein Magazin wie WIRED braucht; eines, das sich für Technik, Fortschritt und Zukunft begeistert. Seit fast einem Jahr arbeiten wir – das sind vor allem Wolfgang Kerler, Krischan Lehmann, einige weitere fantastische Leute, tja, und auch ich – auch daran.
Unser Projekt heißt 1E9. Aber es soll mehr sein als nur ein Magazin. Es soll auch eine Online-Community sein, eine Reihe von Veranstaltungen wie Konferenzen und Meet Ups. Eben ein Ort – online wie offline –, der Menschen, die die Zukunft leben, Technologie lieben und beides mitgestalten wollen, zusammenbringt.
Auf und um 1E9 ist schon einiges geschehen. Wir hatten unsere erste Konferenz, wir haben zahlreiche Artikel veröffentlicht, spannende Themen diskutiert und bereits so einige Menschen gewonnen, die in Zukunft mit uns debattieren und streiten möchten.
Gefühlt sind wir dennoch noch ganz am Anfang. Denn 1E9 ist kein Verlagsprodukt, sondern ein Start-up, das langsam aber stetig wächst, angepasst und justiert werden will. Wir wollen viel ausprobieren, austarieren, spielen und experimentieren; nicht nur machen, was alle anderen tun. Wir haben viele Ideen und etliche Baustellen.
Wenn ihr einen Blick riskieren, schauen und mitmachen möchtet: Wir sind derzeit noch in der Beta-Phase aber haben eine offene Warteliste für neue Mitglieder. Tragt euch gerne ein.
Es würde mich freuen, euch auf 1E9 zu sehen. Und sagt ruhig Bescheid, wenn ihr über diesen Newsletter hingekommen seid!
Danke für alles!
Michael
Lesetipps
Arkwright
Der Science-Fiction-Autor Nathan Arkwright ist ein Phänomen. Er ist der Arthur C. Clarke und Isaac Asimov seiner Zeit. Allerdings will er mehr als nur jemand sein, der über die Zukunft der Menschheit im All schreibt. Er will sie wirklich dorthin bringen. Also entwickelt er einen Plan für ein riesiges Raumschiff und einen Weg in die Weiten des Kosmos – von dem er weiß, dass er dessen Umsetzung nicht mehr erleben wird. Aber durchaus seine Nachfahren, die die Vision des Autors tatsächlich in Ehren halten. Einige Generationen später ist das Raumschiff Realität und steuert auf Gliese 667C-e zu. Arkwright ist kein ganz einfaches Science-Fiction-Werk. Denn es biegt sich über enorme Zeitspannen, arbeitet nicht nur eine Familien- und Raumfahrtgeschichte auf, sondern auch die Geschichte der Science Fiction selbst.
Verschollen
Die Bergbaustation Sigma XV klingt nicht gerade nach einem einladenden Ort. Aber sie ist Heimat eines der bemerkenswertesten Luxushotels des bekannten Universums. Denn von dort schauen die Gäste direkt auf den Pferdekopfnebel. Jedoch kommt es zu einem Angriff einer Terroristenzelle. Sie sprengen das Hotel und die Station. Nur eine kleine Gruppe, die gerade auf einem Rundflug war, überlebt den Angriff. Aber nun ist sie zusammengepfercht in einem winzigen Shuttle – und das ohne Nahrung, Wasser oder Funkkontakt. Verschollen– im Original: Adrift – ist im Grunde eine Science-Fiction-Variante des Hitchcock-Klassikers Das Rettungsboot. Denn genau wie in diesem kochen die Gefühle der Charaktere bald hoch, die so unterschiedlich wie mysteriös ausfallen.
Im Herzen des Imperiums
Das Teixcalaanlischen Imperium ist eine Weltraumnation nach dem Vorbild des byzantinischen Reiches. Es ist groß, mächtig und steht unter einem strengen Regiment. Mahit Dzmare, eine Botschafterin, reist von der kleinen Minenstation Lsel in das Herz des Reichs – und muss erfahren, dass der vorher dort postierte Botschafter verstorben ist. Aber, anders als ihr erklärt wird, ist er nicht auf natürliche Weise umgekommen, sondern wurde ermordet. Und: Anders als der Titel des Romans vermuten lässt, ist Im Herzen des Imperiums kein Weltraumepos, sondern eine Detektivgeschichte – die allerdings mit einem imposanten Worldbuilding, faszinierenden Kulissen, Gesellschafts- und Kulturideen aufwartet. Ich bin noch nicht gänzlich durch mit dem Roman aber kann sagen, dass er mir vor allem aufgrund dieser aufwendigen Ausgestaltung der kosmischen Nation viel Freude bereitet.
Schautipps
The Aeronauts
Es ist die große Chance zu beweisen, dass er nicht nur ein Spinner ist, sondern er tatsächlich das Wetter vorhersagen kann. James Glaisher will in einem Ballon in die Wolken reisen, um Daten zu sammeln, die seine These untermauern. Aber alleine kann er das nicht. Er braucht die Hilfe der Ballonfahrerin Amelia Wren, die bei einem Beineheabsturz einst ihren Mann verloren hat. Sie beginnen die Reise, die jedoch gefährlicher, kälter und aufreibender wird als sie sich vorstellen konnten. The Aeronauts ist ein bildgewaltiges wenn auch etwas ungelenkt inszeniertes Drama, das zumindest lose auf verschiedenen historischen Ballonexpeditionen basiert.
The Aeronauts ist auf Amazon Prime verfügbar.
Ad Vitam
Eine Qualle war es, die den Weg der Menschheit veränderte. Sie enthielt das Geheimnis, wie sich der menschliche Körper immer wieder regenerieren lässt. Nun, einige Dekaden später, ist das Durchschnittlicher auf der Erde sprunghaft angestiegen. Menschen wie der Polizist Darius sehen aus wie Mitte 40 sind aber über 100 Jahre alt. Sie arbeiten hart und feiern noch härter – denn auch ein Kater ist mit der Regeneration schnell hinweg gefegt. Die Entwicklung von Kultur und Technik stagniert jedoch. Denn diese Alten mögen vor allem das, was sie schon vor 70, 80 oder 90 Jahren gut fanden. Genau das und noch mehr weckt aber auch Widerstand. Die Mitglieder einer Sekte begehen kollektive Selbstmorde, um gegen die Lebensverlängerung zu protestieren. Darius soll ermitteln, wer hinter diesen Suiziden steht und braucht dafür Hilfe von der Mittzwanzigerin Christa, die selbst sehr skeptisch ist, ob der Lebensverlängerung nun ein Segen oder Fluch innewohnt.
Ad Vitam ist auf Netflix verfügbar.
Lost in Space
Zugegeben: Die erste Staffel von Netflix' Lost in Space war eher Mittelmaß. Aber sie erschaffte auch ein spannendes Universum und liebenswerte Charaktere. Nun ist die Staffel 2 erschienen. Und die startet erstaunlich imposant. Nachdem die Familie Robinson durch das All gedriftet ist, von den andern Siedlern getrennt wurde, hat sie sich auf einem kargen Planeten ein Leben aufgebaut. Doch nun müssen sie schauen, dass sie von diesem fliehen – denn eine giftige Atmosphäre und brutale Stürme machen das Überleben zunehmend schwerer. Aber auch nachdem sie wieder zur restlichen Kolonie gefunden haben, hören die Probleme nicht auf. Ganz im Gegenteil.
Lost in Space ist auf Netflix verfügbar.
Skywatch
Zahlreiche Unternehmen wollen bald Bestellungen mit Drohnen zu ihren Kunden bringen. In Skywatch von Colin Levy ist diese Zukunft bereits Realität – und die Technik hackbar, wie zwei clevere Teenager herausgefunden haben. Als bei einem Hack plötzlich etwas schief geht, erkennen sie jedoch, dass die Drohnen in der Luft nicht nur Waren transportieren sollen, sondern auch für gänzlich andere Einsatzmöglichkeiten gerüstet sind. Über sieben Jahre lang soll der Pixar-Künstler Levy an dem Kurzfilm gewerkelt haben – und das hat sich gelohnt.
News und Artikel
Blade Runner ist jetzt
Seit November 2019 spielt Blade Runner in der Gegenwart. Auf 1E9 hatte ich mal aufgeschrieben, was das bedeutet, warum manche Technologien zur Realität wurden und andere nicht.
Die Schere zwischen Vision und Wirklichkeit formt sich aber nicht nur aus diesen ausgebliebenen Entwicklungen. Nein, es sind auch zahlreiche und kuriose Anachronismen, die die Welt von Blade Runner so fremd, abseitig und irgendwie abstrakt erscheinen lassen. Es gibt dort kein Internet und keine Smartphones. Händler verkaufen wuchtige Röhrenfernseher, Telefonzellen stehen auf den Straßen, Atari, RCA und Bell System sind noch dick im Geschäft. Breite Schulterpolster sind total angesagt und selbstverständlich wird im Büro gequalmt.
The 84 biggest flops, fails, and dead dreams of the decade in tech
Ein Jahrzehnt geht zu Ende – ein Jahrzehnt voller Flops, Fehlschläge und WTF-Momenten. The Verge hat einige davon zusammengetragen und erinnert damit an das CrunchPad, das Social Network Secret, Google Plus, das Facebook Phone oder Goolges Idee, auf riesige Schwimmpontons Büro- und Präsentationskomplexe zu bauen.
This is the decade we learned that crowdfunded gadgets can be utter disasters, even if they don’t outright steal your hard-earned cash. It’s the decade of wearables, tablets, drones and burning batteries, and of ridiculous valuations for companies that were really good at hiding how little they actually had to offer. It’s the decade of Google filling up its product graveyard, Apple stubbornly denying obvious missteps, and Microsoft writing off billions of dollars.
Gesichtserkennung-KIs sind Rassisten
Im breiter und häufiger wird Gesichtserkennungssoftware eingesetzt – vor allem von der Polizei. Aber wie jetzt eine Studie beweist, ist Gesichtserkennungssoftware oft biased. Heißt: Sie macht bei manche Hautfarben, Ethnien oder auch Altersgruppen deutlich öfter Fehler und führt damit zu Fehlidentifikation – und das mit einem Faktor von bis zu 100.
NIST says it found “empirical evidence” that characteristics such as age, gender, and race impact accuracy for the “majority” of algorithms. The group tested 189 algorithms from 99 organizations, which together power most of the facial recognition systems in use globally.
Als Walt Disney versuchte, die Stadt der Zukunft zu bauen
Eine weitere Kleinigkeit, die ich für 1E9 aufgeschrieben habe, war die Geschichte von EPCOT, Walt Disneys Plan, eine Stadt der Zukunft zu bauen – und warum diese Vision scheiterte.
In diesem Jahr wäre Walt Disney stolze 118 Jahre alt geworden. Heute gilt er vor allem als der Erfinder von Micky Maus und der Mann hinter zeitlosen Trickfilmklassikern. Doch Walt Disney war auch ein echter Futurist. Er glaube an die Technik und die Zukunft – und hatte große Pläne. Einst plante er sogar eine eigene Zukunftsstadt, die in der Sumpflandschaft von Florida entstehen sollte. Wir erzählen die Geschichte, dieser ambitionierten Idee – die am Ende aber wohl zu groß gewesen war.
Menschen nutzten animierte PNG-Dateien, um Epileptiker anzugreifen
Twitter hat animierte PNG-Bilder verboten. Sie können nicht länger hochgeladen werden. Denn sie wurden zu Letzt genutzt, um andere Nutzer anzugreifen. Nämlich Menschen mit Epilepsie – insbesondere die Follower und Betreuer des Twitter-Accounts der Epilepsy Foundation. Die animierten PNG-Bilder umgingen nämlich die Autoplay-Einstellungen bei Twitter, wurden also ohne Nachfrage abgespielt und konnten mit flackernden Effekten durchaus gefährliche Anfälle bei den Betroffenen auslösen.
Tweets with existing APNG images won’t be deleted from the platform, but only GIFs will be able to animate images moving forward. According to Yahoo, Twitter has further clarified that APNG files were not used to target the Epilepsy Foundation, but the bug meant such files could have been used to do so in the future had Twitter not moved to squash it.
Wie Predictive Policing scheitert
Verbrechen verhindern. Und das bevor sie geschehen. Predictive Policing, das Vorhersagen von Verbrechen auf Basis von Daten wie Polizeiberichten und Statistiken, wird weltweit ausprobiert aber funktioniert einfach nicht. Stattdessen führt es zu einer bedenklichen Diskriminierung von Personengruppen und Minderheiten, wie Spiegel Online aufschlüsselt.
Mitte Dezember an die Öffentlichkeit gelangte Daten offenbaren, dass fast ausschließlich Latinos und Schwarze überwacht wurden. Und der Aufstieg und Fall von "Operation LASER" wirft ein Schlaglicht auf die Probleme von Predictive Policing weltweit - datengestützte Prognosen, die versprechen, die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Verbrechen an bestimmten Orten oder die potenzielle Gefährlichkeit von Personen zu berechnen.
Worte zum Schluss
An dieser Stelle hier jetzt noch ein paar Worte des Dankes.
Danke! Nämlich dafür, dass ihr diesen Newsletter abonniert habt, dafür geworben habt und mir die Treue haltet!
Ihr seid großartig.
Und da dieser Newsletter noch während der Weihnachtstage erscheint: Euch allen ein tolles Fest, erholsame Feiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr!